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Von der Dekonstruktion zur Meditation: Stationen im Werk von Matta Wagnest

Florian Steininger

 

Seit nun gut 15 Jahren nimmt das transparente Glas eine zentrale Position in Matta Wagnests künstlerischer Praxis ein. Seine Funktion und Bedeutung hat sich im Laufe der Jahre vom Dekonstruktivistischen und Institutionskritischen zum Meditativen gewandelt. 

1992 »bespielt« Wagnest die barocken Prunkräume der Neuen Galerie in Graz: sowohl den Spiegelsaal als auch den Gelben und Roten Salon. Thema des Werks For Sale ist die Inszenierung um ihrer selbst willen. Die Künstlerin hat den Spiegelsaal an seinen Ein- und Ausgangsbereichen mit Glasscheiben versperrt; die Besucher können nur aus einer gewissen Distanz die hermetisch abgeriegelte »Ausstellung« betrachten: Der Raum ist die Ausstellung, er wird seiner ursprünglichen Funktion enthoben – Ambiente für Empfänge, Festessen oder Präsentationsraum. Die Künstlerin selbst hat den Raum zum Kunstwerk erklärt, zu einer barocken Version des White Cubes, und lädt den Rezipienten ein zur Reflexion über institutionelle Systeme und Gepflogenheiten.

Im Roten Salon hat die Künstlerin vier üppig-floral verzierte Sitzmöbel und einen Tisch aus dem barocken Inventar prominent positioniert, indem sie dem Gebrauchsgegenstand eine Glasvitrine übergestülpt hat. Das funktionelle Objekt, als ursprünglicher Teil des historischen Ensembles wird separiert, geradezu auratisiert, gleich einem Fetisch, einer kostbaren Devotionalie, die aus Sicherheitsgründen von der möglichen Berührung durch den Besucher abgeschirmt wird. Wagnest verschiebt einmal mehr die Bedeutungszusammenhänge. Sie reagiert auf die Situation, auf die vorgefundenen Gegebenheiten und verändert mit marginalen minimalistischen Interventionen ihre Wirklichkeit und ihre Erscheinung. Man könnte dieses Kunstkonzept in die Nähe der Readymade-Philosophie von Marcel Duchamp bringen. Matta Wagnests Medium zur Auratisierung des vermeintlich Gewöhnlichen ist die Glasvitrine. Während Duchamps Readymades einen skulpturalen Charakter zeigen, oft mit kleinen Veränderungen durch Montagen und Applikationen vom Künstler gestaltet, ist Wagnest »handwerklicher« Aufwand marginal, geradezu minimalistisch: industriell hergestellte Glasplatten. Duchamp sprach dem Betrachter die entscheidende Funktion zu: »ohne Betrachter kein Kunstwerk« … diesen Gedanken wird Matta Wagnest in denjenigen Arbeiten aufgreifen, bei denen der Betrachter von den Glasscheiben umgeben ist – sich darin spiegelt, sich in ihr bewegt, er selbst Teil des Kunstwerks wird. 

Mit dieser künstlerischen Haltung steht Matta Wagnest im engen Zusammenhang mit den damals aktuellen Positionen der österreichischen und internationalen Kunstszene. Nach dem Höhepunkt der emotionalen individuellen Ausbrüche in der Malerei – Heftige Malerei, Transavanguardia und Neue Wilde – bestimmten konzeptionelle und institutionskritische Tendenzen die Kunstszene. Gerwald Rockenschaub oder Heimo Zobernig, von einer abstrakt geometrischen Malerei ausgehend, hinterfragten die persönliche Handschrift des Malers, kontextualisierten Bild-Raum-Alltag, ja sie griffen die Strategien der avantgardistischen Strömungen der spät 1960er und 1970er Jahre auf, als das Tafelbild für tot erklärt wurde und die Kunst aus einer dezidiert intellektuellen kühlen Ecke kam: Concept Art, Appropriation Art … Idee, Konzept und Sprache anstelle Malerpinsel und Leinwand. Hinzu kam eine verstärkte Praxis der Skulptur und des Objekts auf Basis der Minimal Art. 

Diese minimalistischen Qualitäten zeigt auch Wagnest in ihren Arbeiten mit Glasflächen- und -vitrinen, jedoch spricht sie ihrem Kunstwerk jegliche Säkularisierung im Sinne der Kunst als Kunst ab. Anstelle zu abstrahieren, erweitert sie den Bedeutungskontext. Donald Judds Specific Objects, etwa, sind abstrakte autonome Kunstwerke. Wagnests minimalistisch anmutende Glaskonstruktionen sind dagegen die Spiegel, die Projektionsflächen ihrer Umwelt, die der ständigen Veränderung durch Zeit und Situation ausgeliefert sind. 

1993 präsentiert Matta Wagnest das Projekt Deconstruction: Blue Box im 20er Haus des Museum moderner Kunst in Wien. Die Künstlerin definiert ihre Arbeit folgendermaßen: »Deconstruction: Blue Box ist einerseits als Ausstellung auf einer Bühne zu sehen, andererseits als imaginärer Hintergrund für die mediale Bildaufbereitung. Ein orangenes Farbfeld markiert die Zerstörung innerhalb dieser Funktion.« Wiederum tritt eine Dekonstruktion der alltäglichen Funktionen und Begebenheiten zugunsten einer institutionskritischen Aussage mit Parametern der modernen Kunst ein. Anstelle des prunkvollen Barockraums fungiert die Blue Box als White Cube, als stiller artifizieller Raum, der sich selbst genügt. Diese Konstitution steht dem ursprünglichen Zweck der Blue Box diametral entgegen. Er ist sozusagen die Matrix für das imaginierte Bild, das wir auf den Fernsehbildschirmen sehen. Wagnest führt uns sozusagen hinter die Kulissen, hinter die Kamera. Diese umhüllt die Künstlerin, wie zuvor die Barockmöbel, mit einer Glasvitrine, und verleiht dem in der Fernsehwelt unsichtbaren Mittel zum Zweck einen musealen skulpturalen Status. Auf die Wand der aufgebauten Bühne malt Wagnest eine 100×100 cm große orangene Fläche – ein abstraktes monochromes Bild, das den sphärischen Raum in seiner Homogenität optisch bricht. 

Das gesellschaftlich hierarchische Moment thematisiert Matta Wagnest in den Projeketen The View – Perspective of Art (1993) und RKW-Neues Radio Matta Wagnest (1994), in Zusammenarbeit mit Lincoln Tobier. Beide Projekte verwenden die Glasfläche als Trennlinie zwischen Rezeption und Aktion. Wird in The View der Blick auf das Kunstwerk inszeniert, so steht im Radioprojekt RKW die an sich nicht sichtbare Arbeit von Sound-Machern im Vordergrund.

In Watched while sleeping (1994) nimmt Matta Wagnest in Zusammenarbeit mit Mio Shirai Elemente vorweg, die in den folgenden Glasskulpturen verdichtet zur Anschauung gebracht werden. In der Art Front Gallery in Tokyo setzt die Künstlerin ein »meditatives« in sich ruhendes Zeichen gegen das hektische Leben der Metropole. Sie bietet den Ausstellungsbesuchern einen Ort der Ruhe an: Tatamis als Schlafstätten mit sanftem Sound. Die transparente Glasfront der Erdgeschoßgalerie lässt die Living-Scultpure-Installation mit dem Außenraum korrespondieren.

Matta Wagnests Kunstprojekte zu jener Zeit sind geprägt von einem offenen Werkbegriff, der die Bereiche Kunst, Musik, Club- und Partyszene fließend ineinander übergehen lässt. 1996 betreibt sie mit Gerwald Rockenschaub das Labor in New York. 

1999 installiert die Künstlerin in der Galerie & Edition Artelier, Graz im Rahmen des Steirischen Herbst ein orangefarbenes Glashaus in den Galerieraum. Die einfache Struktur des Hauses erinnert an ein überdimensioniertes Kinderspielhaus. Eine Bank im Inneren lädt zum Verweilen ein. Das durch die orangenen Glasflächen gefilterte Licht scheint die Grenzen des Raums zugunsten einer »räumlichen Aura« aufzulösen. Meditative Qualitäten bestimmen immer stärker die Arbeiten von Matta Wagnest, ob im Orange Glasshouse oder in Ford Crystal Blue, das 2001 im Schlosspark Ambras bei Innsbruck im Rahmen der Skulpturenausstellung Unter freiem Himmel präsentiert wurde. In Ford Crystal Blue stellt die Künstlerin den menschlichen Körper in den Mittelpunkt. Der Betrachter hat die Möglichkeit, den offenen Glaskubus zu betreten und die Skulptur von innen zu erleben. Jegliche Masse ist zugunsten einer transparenten, sich zurücknehmenden Werkkonzeption ausgerichtet. Wagnests Skulpturbegriff ist um eine gleichsam räumlich architektonische Dimension erweitert. Anstelle des Blicks auf und um die Skulptur wird man von dem Werk umgeben. Aufgrund seiner Reduktion in Form und inhaltlicher Aussage gleicht die Skulptur einer neutralen Hülle für die Person im Inneren, sie fungiert als Präsentationsraum von Außen und auch als Reflexionsraum der eigenen körperlichen Lokalisierung im Inneren.

Ein komplexes vielschichtiges System von Rezeption entsteht: die transparente Glasskulptur ist Matrix für das eigene Bewusstsein und die unmittelbare Umgebung.