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Walter Seidl
Matta Wagnests Arbeiten beschäftigen sich mit Momenten der Performativität, die in materiell unterschiedlich konstituierten Bild- und Objektformationen auftauchen und die Beziehung zwischen Objekt bzw. Kunstwerk und Subjekt bzw. BetrachterIn als Prozess kollektiver Gesten begreifen.
Die Materialisierung von Wagnests Kunst weist keine Mediengebundenheit auf, gründet jedoch auf einem aktionistischen Potential, das die Künstlerin als Subjekt einer transzendentalen Erfahrung von Raum und Zeit konstant mitdenkt. Alle Werke von Wagnest, ob der direkte Einsatz des eigenen Körpers oder die Introspektion auf das Selbst manifestiert in Skulptur, Malerei, Zeichnung, oder Fotografie können als Teil eines aktionistischen Ganzen gesehen werden und stehen in Interdependenz zum performativen Ansatz der Künstlerin. Kristine Stiles spricht im Zusammenhang mit Objekten bzw. Kunstwerken, die als Teil von Aktionen gelten und stets einen Bezug zu ihren AkteurInnen herstellen, von »Kommissuren«. Diese müssen
als mit jenem Verhalten in Verbindung stehend gesehen werden, das selbst wiederum danach verlangt, betrachtet zu werden. Somit wird den Objekten in der Aktionskunst die Aufgabe anvertraut oder übertragen, als Verbindungen zu agieren, die zu ästhetischen Konzepten zurückführen. Die Objekte, die aus der Aktion hervorgehen, müssen, wenn man sie als Kommissuren sieht, als Zeichen der Verbundenheit mit dem Betrachter verstanden werden, die sich dem Wunsch verdanken, Kommunikation über die Handlungen eines Künstlers herzustellen.1
Die Betrachtung von Wagnests Arbeiten als Kommissuren würde nahelegen, dass ihr Werk als permanent fortgeführte Aktionsreihe angelegt ist, die die Erfahrungen der Künstlerin situationsgebunden verhandelt und die dabei entstehenden inhaltlichen Parameter, sei es in materieller oder ephemerer Hinsicht immer in Relation zu ihren BetrachterInnen stellt. Das aktionistische Potenzial entfaltet sich ebenso im Akt des Malens, wenn in einer vorwiegend in Gold gehaltenen Serie verschiedene Wortformationen wie »bleed«, »bloom«, »blood« oder »fall« auftauchen, die durch ihre heftige malerische Gestik sowie phonetische Komponente spezifische Gefühlsebenen evozieren. Hier entstehen etwa Referenzen zum Action Painting eines Jackson Pollock und dem Ausführen eines performativen Aktes per se, der sich während des Malens ereignet und dessen Resultat als Kommissur verstanden werden kann und eine Beziehung zu den BetrachterInnen aufbaut. »Um mehr Kooperation als Konkurrenz zu erreichen, braucht es letztlich eigenwillige Akteure, die nicht nur etwas vollziehen, sondern nicht zweckgebunden handeln und dadurch etwas in Erscheinung treten lassen, das sich nicht an seinem Resultat messen lässt, sondern nur in Vollzug zwischen mehreren existiert«. 2
Wagnest fordert eine Teilhabe des Publikums und ermöglicht den Prozess eines Weiterdenkens, der ihre Werke nicht als abgeschlossene Artefakte bzw. Kunstwerke begreift, sondern im Sinne eines »performative turn« zu einer mentalen Re-Aktivierung auffordert. Der »performative turn«, der in den 1990er Jahren aufkam und sich als heuristisches Prinzip zu einem besseren Verständnis menschlichen Verhaltens in den Geistes- und Sozialwissenschaften, vor allem in Disziplinen wie Anthropologie, Archäologie, Linguistik, Ethnographie, Geschichte und Kunst etablierte, versteht jede menschliche Handlung als Performance, die jede Aktion, unabhängig von Raum und Zeit als öffentliche Manifestation des Selbst definiert. Diese Verhältnismäßigkeit kennzeichnet auch Wagnests Arbeiten, in denen die Künstlerin immer wieder selbst ins Bild tritt und im Rahmen ihrer Ausstellungen performativ in den Raum eingreift. Wagnest geht es dabei weniger um eine direkte Visualisierung des Körpers, sondern um die Reflexion seiner psychischen Verfasstheit im Zeitalter des Spätkapitalismus und den einhergehenden Auswirkungen des Anthropozäns auf sämtliche Lebensbereiche des Individuums. Nicht zuletzt entwickelte sich der »performative turn« in den 1990er Jahren, nach Ende des Realsozialismus, als es kein Entkommen aus den globalen Fängen einer metastatischen Verbreitung kapitalistischer Machtdispositive mehr gab.
Die Metapher der Performance entfaltete sich zwar ursprünglich in den Bereichen Theater und Kunst, bezog sich in Folge jedoch zunehmend auf wirtschaftliche Prozesse und die Bewertung menschlicher Leistung. Nach Paolo Virno führte diese Entwicklung dazu, »dass die kapitalistische Produktionsweise irgendwann die Grenze zur ,realen Subsumption‘ der Lebensprozesse überschreitet und dann nicht mehr allein im Schema von Lohn- und Fabrikarbeit sowie des dort abgeschöpften Mehrwerts beschrieben werden kann«3. Jene Übertragung performativer Gesten erprobte Wagnest bereits in ihrer ersten Kunstaktion von 1986 mit dem Titel »Stationäre Protuberanz«. Es handelte sich hierbei um einen »inszenierten Anschlag«, ein Attentat auf das Bild eines sich kurz vorher suizidierten Kollegen von der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Während des Aufbaus wurde das Werk jedoch gestohlen und der Künstlerin Blasphemie vorgeworfen. Letztendlich tauchte es jedoch wieder auf und der Anschlag konnte wie geplant stattfinden, wodurch der performative Akt des Kollegen in einen erweiterten künstlerischen Aktionsradius übertragen wurde. Wagnest entgegnet hier jenen defätistischen Tendenzen einer kapitalistisch geprägten Performanz mit ihrer Definition des »Schmerzkörpers«, den es zu überwinden gilt, um sich von den sozial bedingten Einflüssen auf das Selbst in aktionistischer Manier zu befreien.
Die Nähe zur aktionistischen Kunst der 1960er Jahre, etwa zu jener eines Rudolf Schwarzkogler, der einige seiner Aktionen speziell für die Kamera entwickelte, ist auch bei Wagnest spürbar, wenn es darum geht, den Schmerz der Welt am eigenen Körper abzutragen, jedoch erweitert sie diesen Kontext, indem sich die Künstlerin mit ihren Aktionen als Subjekt in einen politisch a priori kontaminierten Raum situiert. Dadurch unterscheidet sich ihr Ansatz, denn wie Hubert Klocker es formuliert: »Von politischer Agitation, wie sie in der zweiten Hälfte der 1960-er Jahre vom Institut für Direkte Kunst, gegründet von Günter Brus und Otto Muehl, betrieben wurde, war Schwarzkogler, wie im übrigen auch sein engster Freund Hermann Nitsch, weit entfernt«4. Allein durch die Verwendung des Wortes »bleed« entfernt sich Wagnest vom Einsatz tierischen Blutes, wie es die Wiener Aktionisten praktizierten, und wie Blut in der christlichen Liturgie verwendet wird, sondern verweist vielmehr auf das religiös tabuisierte Menstruationsblut, das die Künstlerin in die Nähe von VALIE EXPORTs feministischen Aktionismus rückt, der sich gegen ihre männlichen Kollegen richtete und den Körper der Frau nicht als Objekt betrachtete, sondern die Stellung der Frau als in der Gesellschaft eigenständiges und handlungsfähiges Subjekt postulierte. Wagnest arbeitet in ihren Performances mit Wortspielen, etwa bei »whoumanrights«, das 2016 im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz als Wandschrift gezeigt wurde. Die Arbeit war ursprünglich für die Istanbul Biennale 1993 als 12 Meter lange Wandinstallation, jedoch als »human rights« konzipiert. Doch unterlag dieser Schriftzug einer Zensur und wurde daraufhin verklausuliert. Das dabei entstandene Resultat thematisiert auf homophoner, aber auch homonymer Ebene sprachliche Varianten von »who as a man has rights?«, »women rights« oder eben »human rights«. Auch die 2019 durchgeführten Performances »hngrrr« und »wssrrr« stellen die Frage nach wesentlichen Bedürfnissen des Menschen dar. Die »geistige Skulptur« im Rahmen der Architekturbiennale in Venedig mit dem Titel »square metre« sollte BesucherInnen stimulieren, über folgenden Satz nachzudenken: »There is enough for all of us«, wodurch sich Wagnest den aktuellen Tendenzen einer »Degrowth« Debatte anschließt, jener Wachstumskritik, die das gesellschaftliche, politische und unternehmerische Ziel des Wirtschaftswachstums kritisiert, da es unmöglich erscheint, dieses ohne Klimaverschlechterungen bzw. einer Proliferation der Auswirkungen des Anthropozäns zu erreichen.
Wagnest formulierte ebenso den Slogan »We are the Art« und thematisiert dabei die Überwindung physischen Schmerzes, den die AktionskünstlerInnen der 1960er Jahre noch real artikulierten, etwa in den bekannten Performances von Marina Abramović oder Chris Burden, die sich teilweise lebensbedrohlichen Situationen aussetzten. Schmerz und Blut verweisen oftmals auf eine christliche Ikonografie und visuelle Kulminierung von Leid, gleichzeitig gilt es sich in einer zunehmend laizistischen Ära von einer kirchlich dominierten und vom ehemaligen Westen aus geschriebenen Kunstgeschichte zu befreien und sich den wirtschaftlich und politisch orientierten Kriegsszenarien zu stellen, die nie aus rein religiösen sondern stets auch aus ökonomischen Dispositiven der Macht heraus entstanden sind. In den frühen 1990er Jahren realisierte die Künstlerin bereits Projekte im Sinne von »We art the Art« – etwa »RKW – Neues Radio Matta Wagnest« in der Kunsthalle Wien 1994, oder 1996 »das Labor« gemeinsam mit Gerwald Rockenschaub in der Kunsthalle New York City. Wagnests performativer Ansatz thematisiert jenes Verhältnis zwischen individuellem und kollektivem Leid, ob selbst oder durch andere hinzugefügt, das in unterschiedliche Ebenen des Schmerzes mündet. In ihren aktionistischen Gesten bezieht sie sich auf jenes Phänomen des Schmerzkörpers, versucht aber gleichzeitig einer Identifikation mit demselben zu entgehen, wie in der Performance »Print« in der Grazer Galerie Sommer 2018, in der sich ein Abdruck des Schmerzes manifestierte. Letztendlich geht es der Künstlerin in ihrer performativen Haltung um die Auseinandersetzung mit dem Schmerz zugunsten der Liebe. Wagnests künstlerischer Ansatz kann daher als analytischer Aktionismus verstanden werden, der zwischen dem Aktionismus der 1960er Jahre und einer feministischen Avantgarde situiert ist.
In ihrer Kunst geht es Wagnest um eine Überwindung tagtäglicher Einschränkungen, die dem Individuum in einer leistungsorientierten Gesellschaft auferlegt werden und die ihre Performances aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus definieren. Die Künstlerin fordert eine neue Sichtweise auf die Realität und die ihr zugrundeliegenden Verhaltensparameter. Aspekte von Weiblichkeit können hier als Referenzmodelle gesehen werden, doch werden diese in eine Allgemeingültigkeit von Bezugspunkten überführt, die Momente von Ruhm oder »fame« mit Angst oder »fear« kurzschließen um auf psychosoziale Grundmuster menschlicher Existenz zu rekurrieren bzw. mental einander bedingende Gegensätze miteinander zu verquicken. Der Einsatz des eigenen Körpers oder vielmehr des »Selbst« dient zur Vorformulierung individueller und kollektiver Gesten, die in unterschiedlichen Medien künstlerisch verhandelt werden und eine Synthese sozialer Determinierungsmodelle bilden, die sich von den Bestrebungen eines Wiener Aktionismus insofern unterscheiden, als sie den politischen Wandel im Spätkapitalismus konstitutiv ins Bildfeld rücken. Wagnest geht es darum, in ihren Arbeiten bei BetrachterInnen einen Denkprozess zu aktivieren, der es erlaubt, über gesellschaftspolitische und neoliberal konnotierte Einschränkungen hinaus zu gehen und dabei Modelle der Selbstbestimmung neu zu denken. In ihren real ausgeführten Performances tangiert Wagnest jene Missstände, die sich aufgrund der auseinanderdriftenden Schere zwischen arm und reich, zwischen Einflussnahme und Abhängigkeit von selbiger auftun, um die Entwicklungen gesellschaftlicher Prozesse bildlich zu schärfen. Diese Diskrepanz gilt es, künstlerisch aufzugreifen und aufgrund ihrer ontologischen Bestimmtheit zu skizzieren. Das aktionistische Potenzial muss hier immer in Zusammenhang mit Wagnests Objekt- und Bildproduktion verstanden werden, die jene kommissurhaftige Komponente mit ins Spiel bringt, die performative Elemente aufgreift und die Bestimmungen jener permanenten Veränderungen von gesellschaftlicher Performanz auf den Prüfstand stellt.
1 Kristine Stiles, »Unverfälschte Freude: Internationale Kunstaktionen«, in: Out of Actions. Aktionismus, Body Art & Performance 1949–1979. Ausstellungskatalog MAK, Peter Noever (Hg.). Ostfildern: Cantz, 1998. S. 230.
2 Stefan Hölscher. »(Re-)Evaluating Performance seit 1990«, in: Texte zur Kunst No. 110, 2018. S. 87.
3 Ibid. S. 83.
4 Hubert Klocker, in: Print. Ausstellungsfolder. Galerie Gerhard Sommer, Graz: 2018.